Ulm digital - Quo vadis? Alles digital oder was?
Digitale Bildung ist die Grundvoraussetzung für digitale Souveränität und der Motor für notwendige Veränderungen. Die sind überwiegend disruptiv, also vergleichbar mit der Erfindung des Automobils, die das Aus für die Kutschenhersteller bedeutete. Aber es gibt auch eine positive Seite: durch die Digitalisierung entstehen neue Berufe und Geschäftsfelder, die heute teilweise noch nicht vorstellbar sind. Sie werden nicht von Nerds entwickelt, sondern vom gesamten Unternehmen. Wer die Chancen als solche erkennt, kann die Möglichkeiten der Digitalisierung für sich nutzen. Die Aufgabe der Politik, und das war die klare Ansage von Gastredner Dr. Thomas Strobl, Innenminister Baden-Württemberg, ist die Schaffung einer grenzüberschreitenden digitalen Infrastruktur.
Uni Ulm
Dazu gehört auch 5G als Standardnetz, denn es eröffnet völlig neue digitale Dimensionen. Es ist notwendig, um die Quantität der Datenmengen verarbeiten zu können und die Qualität der Geschwindigkeit zu optimieren. Die ist vor allem beim Thema Autonomes Fahren ein entscheidender Faktor. Zusammen mit der Stadt Ulm, Nokia und DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) richtet die Uni derzeit das 5G Netz ein, und besetzt mit diesem Alleinstellungsmerkmal national und international einen der Spitzenplätze beim Thema Autonomes Fahren. Ein weiteres Signal in Sachen „digitale Positionierung“ setzte die Stadt mit der Stiftungsprofessur „Digital vernetzte Mobilitätssysteme“ zum 50jährigen Jubiläum der Uni.
„Als Leuchtturmdomäne bündelt Autonomes Fahren alle Herausforderungen und Möglichkeiten der Vernetzung. 5G liefert dafür absolut zuverlässige Datenübertragung in Milli- oder teils Micro-Sekunden“, so Prof. Michael Weber, Dekan der Universität Ulm. Er hält den Begriff Digitale Transformation für am besten geeignet, um den Prozess der Digitalisierung zu beschreiben. „Vieles davon wird schon seit längerem benutzt, aber es entsteht erst dann ein Mehrwert, wenn durch eine kritische Menge von Nutzern ein Schwellenwert überschritten wird. Nur wenn alle E-Mail benutzen, kann ich dieses Kommunikationsmittel vollwertig einsetzen.“
Diese Menge zu erreichen, wird beim Autonomen Fahren noch einige Jahre dauern, aber nach und nach werden immer mehr Komponenten in Serienfahrzeugen eingebaut. Die Wirtschaftswissenschaftler der Uni befassen sich praxisbezogen mit den rechtlichen Regelungen und mit dem Thema Arbeitswelt, unter anderem in einem Arbeitskreis mit Unternehmern.
DING digital
Digitale Erfolgsgeschichte mit praktischen Nutzen schrieb das Handy Ticket der DING (Donau-Iller-Nahverkehrsgesellschaft). Die Möglichkeit, sein Ticket per Handy App zu buchen, hat sich in der Praxis bewährt und steigende Buchungszahlen im zweistelligen Prozentbereich sind ein klares Signal, wohin die Reise geht. Die rasante Weiterentwicklung vom Handy zum Smartphone tat ein Übriges, um Ticketkauf und Fahrplanauskunft für Bus- und Bahnfahrgäste attraktiv zu machen.
Den Fahrschein aus der Hosentasche gibt es inzwischen seit zehn Jahren und als Vorreiter in Sachen digitale Mobilität war die DING App erst der Anfang einer Vernetzung von Daten mit dem Ziel einer nutzerorientierten Mobilität. Es gibt noch viel zu tun, denn derzeit gibt es das Ticket nur für Einzelfahrscheine. Für Nutzer aus der gesamten Region und vor allem für Mitfahrer, die selten öffent- lichen Verkehrsmittel benutzen, oder für Gäste ohne Ortskenntnis bietet die App zahlreiche Features, die die Orientierung erleichtern und den Weg von A nach B mit Bus und Bahn nachvollziehbar anzeigen.
Ulm 2.0
Bei der Stadt Ulm ist die Nutzerorientierung ein zentraler Ansatz. Den Akteuren – Stadtverwaltung, SWU (Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm) EBU (Entsorgungsbetriebe) und Parkbetriebsgesellschaft – geht es maßgeblich darum, mit digitalen Mitteln die Lebens- und Standortqualität der Stadt zu erhöhen. Das funktioniert nur in enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen, der Wirtschaft, den Medien, der Gesellschaft, Politik, Verbänden und der Stadtgesellschaft. Die unterschiedlichen Interessen zu bündeln und verschiedene Sichtweisen zu berücksichtigen, wird künftig Aufgabe der Geschäftsstelle Digitale Agenda sein.
Sie ist die Schnittstelle für die Digitalisierung in der Stadt, das Schaufenster ist das „Verschwörhaus“. Der Blick durch das Schaufenster offenbart zunächst nicht viel, aber das ehemalige Gebäude der Sparkasse am Weinhof hat es in sich. Drei Etagen, zahlreiche Räume sowie Kreativität, Tüftlerspirit und grenzenlose Neugier seiner Nutzer stehen symbolisch für die Komplexität der Digitalisierung und die vielen Möglichkeiten, Dinge und Daten miteinander zu vernetzen. Im Alltag in der Stadt hat sich die Digitalisierung schon nach und nach etabliert: es gibt eine Museums-App, Online-Bürgerbeteiligungen, die DING App der Nahverkehrsbetriebe, den Theater Livestream, die neue Münster-Führungsapp, die Online Plattform Zukunftsstadt Ulm, und nicht zuletzt lo-ra-wan, ein für die Stadt entwickeltes Netz zum Übertragen begrenzter, zielgerichteter Datenmengen.
Ab Juli kommt der „Birdly“ hinzu und Ulm gehört neben Singapur und New York zu den drei Städten, in denen Bürger und Besucher digital fliegen können. Das Projekt der ETH Zürich ermöglicht in der Kramgasse den Start zu einem digitalen Flug über die Stadt. Im Gespräch mit dem TOP Magazin räumte Christian Geiger, zuständig für Grundsatzfragen Ulm 2.0, ein, dass diese digitalen „Showeffekte“ nur ein Teil der digitalen Umstrukturierung sind. Für ihn ein Prozess zwischen Evolution und Revolution, dessen Dynamik und damit auch der Zeithorizont branchenabhängig sind. Fest steht, dass es unabhängig von der technischen Entwicklung rechtlich, politisch und gesellschaftlich noch einiger Debatten und Regelungen bedarf, bis fest steht, welche Daten von wem preisgegeben, von wem gesammelt und von wem ausgewertet werden dürfen. Vielleicht sind die Pflastersteine in Ulm in einigen Jahren mit Sensoren ausgestattet und sammeln Daten über Verkehrsdichte, Fußgängerströme, über freie Parkplätze oder über die Kosten für die Nutzung, die dann automatisch abgebucht werden. Dafür die Voraussetzungen zu schaffen, ist ein Prozess von unterschiedlicher Dauer. Ulm ist auf einem guten Weg, und hat bereits mehr als nur die ersten Schritte hinter sich.
Initiative ulm digital
Mit Rückenwind aus der regionalen Wirtschaft, die unter anderem das Verschwörhaus unterstützt. Nicht ganz uneigennützig, denn möglicherweise entstehen auf dem „digitalen Bolzplatz“ Lösungskonzepte für eine nachhaltige Gestaltung der digitalen Stadt, Ideen für neue Geschäftsmodelle, Innovationen werden vorangetrieben und alte Denkmuster werden aufgebrochen. 2016 haben sich die Geschäftsführer von acht Unternehmen und Vertreter der Stadt Ulm zur Initiative Ulm digital zusammengeschlossen, nutzen ihr Netzwerk, um die Stadt bei diesem Entwicklungs- und Veränderungsprozess zu unterstützen und ihre vielfältigen Aktivitäten zu fördern. Als Unternehmerinitiative setzt ulm digital auch eigene Impulse, initiiert und realisiert innovative Projekte und trägt zu einem Innovationsklima in der Stadt bei, das kreative Köpfe hervorbringt und anzieht. sba
Fotos: Stadt Ulm, Demodern GmbH, Sigrid Balke, Fotolia.com (iconimage)