Prof. Dr. Benedikt Friemert

Im Oktober 2022 veranstaltet die DGU in Berlin den europaweit größten Kongress für Unfallchirurgie, bei dem bis zu 11.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt erwartet werden. Zur Vorbereitung dieses Kongresses fand Ende Mai in Ulm ein zweitägiges Treffen des erweiterten Präsidiums der DGU statt.

TOP Magazin sprach mit Prof. Friemert über die Herausforderungen an die moderne Unfallchirurgie und über seine Aufgaben als DGU Präsident.

TOP: Welche Rolle spielt die DGU für die Entwicklung der Unfallchirurgie?
Prof. Friemert: Mit Beginn der Industrialisierung und des Straßenverkehrs am Ende des 19. Jahrhunderts gab es häufigere und schwerere Unfälle als zuvor und daraus resultierend auch komplexere chirurgische Aufgaben. Um die Menschen bei Arbeitsunfällen abzusichern und die Leistungsfähigkeit wieder herzustellen, wurden 1885 auf Initiative des deutschen Kaisers die Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung gegründet. Im ersten Weltkrieg führte die eingesetzte neue Waffentechnik zu neuen schweren Verletzungsmustern, wie zum Beispiel abgetrennte Gliedmaßen, und hiermit verbunden auch zu einem medizinischen Umbruch, der in den Nachkriegsjahren wissenschaftlich aufgearbeitet wurde. Das führte 1922 zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), die seit Beginn eine enge Verbindung zu den Berufsgenossenschaften pflegt.
Neben der Fortbildung ist es ein zentrales Anliegen der DGU, die Versorgung der Traumapatienten, insbesondere der schwerstverletzten Patienten, auf organisatorischer und fachlicher Ebene nachhaltig zu verbessern.
Wir Unfallchirurgen verstehen uns als „Kümmerer“ des Traumapatienten, angefangen von der Schockraumphase und der Operation bis hin zur Rehabilitation. Die nach SGB VI für BG-Patienten gesetzlich geregelte Behandlungsfreiheit ohne ökonomische Begrenzungen stellt für mich hierbei ein hohes Gut dar, wie es auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr umgesetzt wird. Was medizinisch sinnvoll ist, darf ohne Budgetvorgaben oder anderen Kostendruck auch tatsächlich gemacht werden. Die DGU kämpft dafür, dieses auch für gesetzlich versicherte Patienten zu erreichen. Durch das Traumanetzwerk der DGU, das Weißbuch der Schwerverletztenversorgung und das Traumaregister der DGU ist nicht nur die 24/7 Versorgung verletzter Patienten sichergestellt, sondern auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ergebnisse, um eine kontinuierliche und wissenschaftlich fundierte Verbesserung der Versorgung zu erreichen.

TOP: Wie kam es dazu, dass erstmals ein Bundeswehrchirurg Präsident der DGU wurde?
Prof. Friemert: Bedingt durch zahlreiche Auslandseinsätze, besonders in Masar-e Sharif in Afghanistan, wo unter anderem durch die Bundeswehr ein komplettes Krankenhaus errichtet wurde, hat sich der Sanitätsdienst der Bundeswehr im Laufe der Jahrzehnte nicht nur materiell, sondern auch konzeptionell weiterentwickelt. Auch wurde immer deutlicher wahrgenommen, dass die Militärchirurgie ein wesentlicher Teil der Chirurgie in Deutschland ist. Die medizinischen Fachgesellschaften haben das mitbekommen, vor allem auch durch spezifi sche wissenschaftliche Vorträge über militärchirurgische Themen auf den entsprechenden Kongressen. Ich selbst bin u.a. über einen solchen Vortrag mit der DGU in Kontakt gekommen, neben der Tatsache, dass ich schon im Jahr 2000 als Leiter der AG Ultraschall tätig war.
Im Jahr 2013 wurde die Arbeitsgemeinschaft „Einsatz-, Katastrophen- und taktische Chirurgie“ gegründet, in der ich aktiv mitgearbeitet und die ich 6 Jahre geleitet habe. In dieser Arbeitsgruppe haben wir unter anderem einen 5-Punkte Plan entwickelt zur Beherrschung von Situationen mit einer großen Zahl von Schwerverletzten, wie z.B. bei Terroranschlägen. Hieraus entwickelte sich eine strukturierte und intensive Zusammenarbeit der DGU mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Seit zwei Jahren bin ich im Vorstand der DGU tätig. Im Jubiläumsjahr der DGU jetzt deren Präsidentschaft übernehmen zu dürfen, empfinde ich persönlich als große Ehre. Dass erstmals ein Unfallchirurg der Bundeswehr dieses Präsidentenamt innehat, hat auch eine starke Signalwirkung auf andere Fachgesellschaften und fördert deren Zusammenarbeit mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Neben meiner Tätigkeit als Präsident der DGU bin ich auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die aus der DGU und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie entstanden ist. Alle drei Gesellschaften bündeln bereits seit vielen Jahren ihr fachliches und gesellschaftliches Engagement, um somit mehr politisches Gewicht zu bekommen.

TOP: Was sind Ihre persönlichen Ziele als DGU Präsident?
Prof. Friemert: In meiner Funktion als Präsident möchte ich jungen Ärzten vermitteln, dass die Behandlung der Patienten eine Herzensangelegenheit ist. Die Begeisterung für das, was man tut, und für das Menschliche in der Medizin sollte wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Es stört mich, dass immer häufi ger von work-life-balance gesprochen wird und dabei im Unterbewusstsein mitschwingt, dass „work“ der störende Teil und „life“ der angenehme Teil des Lebens ist.
So gesehen ist der Begriff work-life-balance für mich eine Katastrophe, weil er der Arbeit ein negatives Image zuordnet. Besser sollte es „life balance“ heißen. Denn das Ziel sollte immer sein, dass man an dem, was man tut, Freude hat und nicht die Arbeit als Pflicht empfindet und die Freude allein dem Freizeitbereich zuordnet.
Es stört mich daher, dass der medizinische Nachwuchs nicht mehr die gleiche Begeisterung wie früher hat. Viele empfinden ihre Tätigkeit nicht mehr als Berufung, sondern nur noch als Job. Die Gesetzgebung, insbesondere das Arbeitszeitgesetz, leistet hierzu einen erheblichen Beitrag. Denn selbst Spitzenkräfte dürfen nicht mehr als 41 Stunden pro Woche arbeiten. Dadurch wird per Gesetz überdurchschnittliches Engagement sehr erschwert. Aber: Wer statt Kreisliga Champions League spielen will, muss auch mehr Zeit fürs Training investieren. Das Gleiche gilt für die Spitzenmedizin. Die DGU hat daher zehn etwa halbstündige Videos produziert, in denen gezeigt wird, wie herausfordernd und gleichzeitig befriedigend die moderne Unfallchirurgie ist, von der Erstversorgung der Verletzten über die Schockraumphase und OP bis zur Reha. Die Videos enthalten jeweils einen fünfminütigen Vergleich, wie es vor 100 Jahren gewesen wäre.
Darüber hinaus haben wir in Kooperation mit Prof. Heinz Maier vom Ulmer Verein support e.V. ein Hilfsprojekt für Namibia gestartet, bei dem ein orthopädisch-unfallchirurgischer OP-Saal in einem Krankenhaus in Windhoek eingerichtet wird. 

TOP: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch und viel Erfolg für die Umsetzung Ihrer tollen Ideen als DGU-Präsident.

 

Info: 
Prof. Dr. Friemert ist seit 1983 bei der Bundeswehr, war als Chirurg unter anderem bei Auslandseinsätzen am Horn von Afrika, in Afghanistan und in Mali dabei und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes in Silber. Seit 2013 ist er Geschäftsführender Arzt des Chirurgischen Zentrums am Bundeswehrkrankenhaus Ulm und seit 2017 zusätzlich Mitglied im Direktorium des Bundeswehrkrankenhauses Ulm. Zusätzlich hat er die Funktion des stellv. Ärztlichen Direktors des BWK Ulm seit dem 1. April 2022 übernommen.

Foto: BWK Ulm