IHK Ulm Hauptgeschäftsführerin Petra Engstler-Karrasch
„Eine Region mit zukunftsweisenden Standortfaktoren“
Sie ist die erste Frau an der Spitze. Petra Engstler-Karrasch ist seit dem 15. November 2021 Hauptgeschäftsführerin der IHK Ulm. Eine herausfordernde Aufgabe bei den aktuellen Krisen von der Energieversorgung bis zum Fachkräftemangel. Fest steht: Die IHK-Region ist stark, dank einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten aller Regionen, einem guten Branchenmix und wegweisenden Innovationen wie zum Beispiel im Bereich Wasserstoff. Im TOP Magazin Interview verrät uns Petra Engstler-Karrasch, was die IHK Region Ulm so besonders macht.
TOP: Frau Engstler-Karrasch, was reizt Sie an der IHK-Region Ulm ganz besonders?
Petra Engstler-Karrasch: Ursprünglich komme ich aus München, bin aber der Liebe wegen nach Laupheim gezogen, wo ich seit 11 Jahren lebe. Von dort bin ich beruflich zunächst weiter nach München und später nach Stuttgart gependelt, wo ich als stellvertretende Hauptgeschäftsführerin bei der Handwerkskammer Stuttgart tätig war. Umso mehr freue ich mich, nun auch beruflich in der Region verortet zu sein. Mich hat vor allem die Offenheit der Menschen hier begeistert. Ich bin in Ulm herzlich empfangen worden. Die wunderschöne Stadt, die tolle Lage, der sensationelle Branchenmix, die Innovationskraft – all das hat mich von Anfang an beeindruckt.
TOP: Haben Sie einen Lieblingsplatz in Ulm?
Petra Engstler-Karrasch: Die pittoreske Altstadt mit ihren kleinen, inhabergeführten Läden hat einen ganz besonderen Charme. Gerne halte ich mich im Sommer in einem der schönen Cafés auf und genieße die Plätze entlang der Donau und der Blau. Außerdem hat Ulm eine ideale Größe, man kann viel fußläufig unternehmen.
TOP: Worin sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen für Ihre Mitglieder?
Petra Engstler-Karrasch: Alle Händler haben während Corona Federn gelassen. Danach kam die inflationäre Entwicklung und dadurch eine für viele spürbare Kaufzurückhaltung. Corona spielt mittlerweile kaum noch eine Rolle, aber insbesondere kleinere Unternehmen hinken noch deutlich in der insgesamt vergleichsweise positiven Entwicklung hinterher. Zudem sehen wir, dass sich die Prioritäten verschoben haben: Bei der letzten Standortbefragung 2022 sahen Unternehmen die Themen Breitband, Mobilfunk, Fachkräfte, bezahlbarer Wohnraum und die Dauer von Genehmigungsverfahren als dringendste Herausforderungen an. Bei der Konjunkturumfrage im Februar 2023 wurden die Energiepreise als Hauptrisiko für die Geschäftsentwicklung angegeben, erst danach folgen der Fachkräftemangel und weitere Themen.
TOP: Gutes Stichwort. Wie kann dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegengewirkt werden?
Petra Engstler-Karrasch: In den nächsten Jahren gehen deutlich mehr Menschen in Rente als neue Fachkräfte in den Arbeitsmarkt eintreten. Da wir in der IHK-Region Ulm zusammen mit den IHKs Würzburg und Bodensee-Oberschwaben die bundesweit niedrigste Arbeitslosenquote haben, sind wir zunehmend mehr auf zugezogene Fachkräfte angewiesen, um Personallücken zu schließen. Damit dies funktioniert, gilt es die Attraktivität der Ulmer Innovationsregion nach außen hin noch besser zu kommunizieren, zum anderen ist die auf den Weg gebrachte Modernisierung des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes wichtig. Die IHK Ulm bringt sich auf vielen Ebenen ein, für internationale Arbeits- und Fachkräfte zum Beispiel mit Unterstützung unseres Welcome Centers. Zudem unterstützen wir Projekte, die für den Fachkräftenachwuchs aus der Region für die Region sorgen: Neben vielfältigen Angeboten in der Berufsorientierung zum Beispiel auch durch die Qualifizierung von Erzieher:innen, um bereits in Kitas und Kindergärten das Interesse an den so wichtigen MINT-Themen bei Kindern zu wecken.
TOP: Im Februar fand die 11. Ulmer Bildungsmesse mit 270 Ausstellern auf dem Messegelände der Friedrichsau statt. War die Messe aus Ihrer Sicht
ein Erfolg und konnte sie das Interesse der jungen Menschen an der beruflichen Ausbildung und der dualen Ausbildung steigern?
Petra Engstler-Karrasch: Wir haben eine hohe Zufriedenheit wahrgenommen, sowohl von Seiten der Besucher, als auch von Seiten
der Aussteller. Die Zusammenarbeit mit den Schulen hat sehr gut funktioniert, es wurden interessante Gespräche geführt und zum Teil auch direkt Praktika auf der Messe vergeben. In Gesprächen mit Eltern
war es wichtig, die Gleichwertigkeit einer beruflichen mit einer akademischen
Erstausbildung zu betonen.
Wenn man sich erfolgreiche Bildungsbiografien anschaut, haben viele der Fachkräfte eine Ausbildung in Verbindung mit einer Weiterbildung wie zum Beispiel zum Meister, Fachwirt, Techniker oder Betriebswirt gemacht. Die Verdienstmöglichkeiten sind beim Weg der höheren beruflichen Bildung nahezu identisch wie bei einem klassischen Studium. Heute ist die Berufswelt vielfältiger, kleinteiliger, aber dadurch auch unübersichtlicher geworden. Die Bildungsmesse in Ulm ist eine tolle Plattform, die den jungen Leuten dabei hilft, eine Entscheidung für ihre Berufswahl zu treffen. Weiterhin unterstützen wir Schüler durch unseren IHK-Kompetenzcheck. Dies ist ein 90-minütiger Onlinetest, der unabhängig von Schulnoten besondere Fähigkeiten, Schlüsselqualifikationen und Persönlichkeitsmerkmale ermittelt. Mein Rat an alle jungen Menschen: Lieber ein Praktikum mehr machen und auch nach rechts und links schauen.
TOP: In den kommenden Jahren steht bei einer Vielzahl von Unternehmen auch in unserer Region die Nachfolgeregelung an. Inwiefern unterstützt die IHK Unternehmer in diesem Bereich?
Petra Engstler-Karrasch: Momentan stehen in unserer Region 700 bis 800 Unternehmen pro Jahr zur Nachfolge an. Der IHK Ulm ist es wichtig, bereits im Vorfeld für das Thema zu sensibilisieren. Zwei bis fünf Jahre vor der geplanten Übergabe sollten sich Unternehmen damit auseinandersetzen. Wir bieten eine umfassende Basisunterstützung an, Übergeber und Übernehmer bekommen erste Hinweise zu Vertragsgestaltung, erb- und steuerrechtlichen Fragen. Und natürlich unterstützen wir mit Inseraten
in der nexxt-Change Börse.
Der KfW-Report 20/21 hat gezeigt: Nur 50 Prozent aller übergabewilligen Unternehmen haben in Deutschland einen Nachfolger gefunden. Aus meiner Erfahrung kann die Nachfolge in einem gut geführten Unternehmen eine gute Alternative zur Gründung sein. Aus diesem Grund läuft bei der IHK Ulm die Nachfolge- und Gründungsberatung eng zusammen. Auch das Potenzial der Firmenübernahme durch Mitarbeiter könnte sicher noch intensiver genutzt werden.
Im Jahr 2022 haben wir in der IHK Ulm 150 Unternehmen erfolgreich beim Prozess der Unternehmensnachfolge begleitet. In diesem Jahr werden wir in der Region sechs Veranstaltungen alleine zu diesem Thema abhalten. Was mir an dieser Stelle wichtig ist: Unsere Beratungsleistungen sind kostenfrei und durch den IHK-Mitgliedsbeitrag abgedeckt. Die IHK-Berater haben damit den Vorteil, komplett objektiv sein zu können. So raten wir auch mal von einer Gründung ab, wenn die Idee zwar super, der Markt aber schon gesättigt ist.
TOP: Für viele ist die Verkehrsinfrastruktur das Rückgrat unseres Wohlstandes. Wie sieht für die IHK Ulm die Zukunft der Mobilität aus?
Petra Engstler-Karrasch: In einem gesunden, ideologiefrei bunten Mix an Verkehrsmöglichkeiten! Bezogen auf den CO2-Ausstoß macht die Verlagerung auf die Schiene, wo sie möglich ist, sicher Sinn. Durch die neue Strecke Ulm-Stuttgart, die erfolgte Elektrifizierung der Südbahn und die Planung der Ausbaustrecke Ulm-Augsburg sind wir da prinzipiell auf einem guten Weg, auch wenn alles sehr sehr lange dauert.
Eine Stadt wie Ulm muss aber auch in Zukunft für den Individualverkehr gut erreichbar bleiben; insofern sehen wir die anstehenden Brückensanierungen und auch die zunehmende komplette Verkehrsberuhigung in der Innenstadt mit Blick auf die Bedürfnisse der Händler mit großer Sorge. Die Parkplatzsituation in Ulm ist mittlerweile gut, auch wenn sich über Stellschrauben wie die zeitliche Staffelung der Parkplatzgebühren noch diskutieren lässt. Wichtig erscheint mir, dass wir in Mobilitätsfragen, soweit möglich, Technologieoffenheit beibehalten. Eine entsprechende Steuerpolitik und ein investitionsfreundliches Klima sollten Forschungsaktivitäten, die dann ja auch zum Know-How-Export im Sinne weltweiter Aktivitäten gegen die Klimakrise führen können, entsprechend
unterstützen.
TOP: Die IHK Ulm ist Teil eines starken Netzwerkes in Baden-Württemberg und auch auf Bundesebene. Inwieweit werden von Ulm aus auch überregional Impulse gesetzt?
Petra Engstler-Karrasch: Wir sind Teil eines Verbundes von deutschlandweit 79 IHKs. In Baden-Württemberg gilt das Federführer-Prinzip. Jede IHK-Region hat ihr eigenes Schwerpunktthema, mit dem sie überregional Impulse setzt, bei uns ist das das Thema Wasserstoff. Neben der Leitung dieser landesweiten Task-Force ist die IHK-Region Ulm „Modellregion grüner Wasserstoff Baden-Württemberg“. Gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung wollen wir anhand von vier Leuchtturmprojekten zeigen, wie sich eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft flächendeckend im ländlichen und städtischen Raum umsetzen lässt. Dies reicht von der Erzeugung über die Nutzung, wie in Brennstoffzellen-LKWs, bis hin zur Tankstelleninfrastruktur. Grüne Energie ist zu einem wichtigen Ansiedlungskriterium für Unternehmen geworden. Im Gegensatz zu Norddeutschland mit seinen Windparks und dem neuen Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven dürfen wir im Süden nicht ins Hintertreffen geraten.
Wir brauchen eigene Standortvorteile in Sachen Grüner Energie; mit herausragenden technologischen Entwicklungen rund um das Thema Wasserstoff könnten wir hier im Südwesten Maßstäbe setzen.
TOP: Gibt es einen Bereich, der Ihnen momentan besonders am Herzen liegt?
Petra Engstler-Karrasch: Natürlich die im Frühjahr anstehende Wahl zur IHK-Vollversammlung. Ganz besonders freue ich mich, dass sich dieses Mal deutlich mehr Kandidaten für ein Mitwirken in der Vollversammlung interessieren als bei der letzten Wahl vor fünf Jahren. Über die Anzahl der Sitze in den Wahlgruppen Industrie, Handel, Dienstleistungen, unternehmensnahe Dienstleistungen, Energie und Kreditinstitute spiegelt die IHK die regionale Wirtschaft in ihrer Struktur und auch in der regionalen Verteilung in der Vollversammlung wider.
Die Industrie- und Handelskammern vertreten das Gesamtinteresse und sorgen für Ausgewogenheit. Ein kleiner Betrieb hat dabei dieselbe Stimme wie ein Großunternehmen. Wir decken die ganze Breite der Unternehmen ab, das macht uns sehr demokratisch und unterscheidet uns auch von Verbänden, deren Aufgabe es ist, Partikularinteressen zu vertreten. Ob in thematisch fokussierten Ausschüssen und Arbeitskreisen oder Netzwerken wie zum Beispiel für Unternehmerinnen, Personalleiter oder Start-ups gibt es viele Möglichkeiten sich einzubringen. Daher möchte ich die Mitglieder ermuntern: Nutzen Sie Ihre IHK. Und gehen Sie wählen!
TOP: Vielen Dank für das angenehme Interview und den abschließenden
Appell. dwi/ge
Fotos: Almut Haiss