Museum Villa Rot
Der gläserne Blick
Glas ist ein faszinierender Werkstoff. Verbindend und trennend zugleich, klar, verzerrend oder reflektierend, spielt Glas mit der Wahrnehmung. 12 Künstler zeigen uns ihre Sicht der Dinge. Vom biblischen David über die Lust am Zerschlagen bis zu Glas als Akustikträger gibt es viele Facetten zu entdecken. Zeit, dem eigenen Blick einen ästhetischen Feinschliff zu verpassen.
So haben Sie Glas noch nie betrachtet! Mittels transparenter, mehrfarbiger Gläser, die gegeneinander verschoben werden können, schafft Bettina Bürkle neue Form- und Farbperspektiven. Rosemarie Vollmer macht in ihrer Bild-Klanginstallation „Bats ‘n‘ Insects“ Glas zum Tonträger, indem sie Fledermaustöne überträgt, die sich normalerweise unserer Wahrnehmung entziehen.
Die Verbindung zwischen prismatischem Glas und Fotografie verdeutlicht Steffen Diemer anhand des nassen Kollodiumverfahrens, das Mitte des 19. Jahrhunderts in der Fotografie Einzug hielt. Seine Stillleben-Arrangements verströmen eine nostalgische Aura.
Peter Dreher nimmt das Thema „Glas“ wörtlich. Seit 1974 fotografierte er für seine Serie „Tag um Tag guter Tag“ mindestens 50-mal pro Jahr ein Wasserglas vor weißem Hintergrund. Sein Ziel: Minimalste Veränderungen durch Lichteinflüsse oder Trübungen festzuhalten. Bei Betrachtung der Bildreihe setzt ein nahezu meditativer Effekt ein.
Hart und doch fragil
Till Augustin verweist auf die Vielschichtigkeit von Glas als Material, das sowohl hart als auch fragil ist. Die Arbeit mit Glas sei faszinierend und überfordernd zugleich. Was der Bildhauer in seinem Film „GlassHass“ mit Dekonstruktivismus unter Beweis stellt. Lächelnd fällt er mit dem Schlaghammer über seinen Glasturm her. Die Scherben verwandeln sich in etwas Neues, ebenso Fruchteinflößendes wie Faszinierendes.
Peter Holls Fenstermotive sind durch Regentropfen und Reflexionen verzerrt. Während die „Amsterdam“-Motive einen fluiden Charme gewinnen, stößt sein Bild „Junge im Regen“ bei der ersten Betrachtung zunächst auf. Handelt es sich um eine vermummte Person mit Schlagstock oder um einen Jungen mit Fahrradhelm und Besen? Die Schweizer Künstlerin Ursula Palla schafft mit „Karamellzimmer“ ein zuckerhaltiges Mobiliar auf verspiegeltem Boden. Das flüchtige Inventar schmilzt oder zerbröselt nach und nach. Vielfältig inszeniert Christina Ohlmer das Thema von der Hinterglasmalerei über die Kristalleiszeichnung bis zur Videoperformance „Opacity (Lines Beyond)“.
Glas als politischer Aufschrei
Politisch wird Glas bei Jorge Sánchez Di Bello, zum Beispiel durch seine mit Jahreszahlen
versehenen „Gedächtnispillen“. Der Beipackzettel verweist auf Inhalte wie die 1982 Massaker, die in den letzten Jahrzehnten in Kolumbien durch Paramilitärs und Guerillas stattgefunden
haben. Als Nebenwirkungen können „Erstaunen, Wut und Unverständnis“ auftreten.
Im selben Raum thront Markus Lüpertz biblischer David mit dem Goliath-Kopf in den Händen. Er ist aus Kalknatron- und Borosilikatglas geformt, erinnert an eine Eisskulptur, strahlt Stärke und Zuversicht aus. Der Sieg des Kleinen über die vermeintliche Übermacht. So entlässt die Ausstellung ihre Gäste mit vielen neuen Einblicken. Also hingehen und (genau) hinsehen! dwi
AUSTELLUNGSDAUER: BIS 11. FEBRUAR 2024
Fotos: Diana Wieser (1), Galerie Albert Baumgarten, Freiburg (1), Peter Holl (1)