44. Biberacher Filmfestspiele
Daria Onyshenko war eigens mit großen Mühen aus Kiew angereist, um den Preis in der Biberacher Stadthalle entgegenzunehmen. Der Film spielt 2019 in der ukrainischen Provinz Luhansk im Osten des Landes. Luhansk ist von Separatisten besetzt – „temporär“, wie eine Einblendung betont – dort ist die Ukrainischlehrerin Nina gezwungen, einen Umschulungskurs zu machen, um künftig Russisch zu lehren. Sie lernt Andrij kennen. Den Bezug zum aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine stellte die Regisseurin in ihrer bewegenden Rede bei der Preisverleihung her: Mit dem Preisgeld von 8000 Euro wolle sie warme Kleidung für das Filmteam kaufen, das mittlerweile an der Front kämpfe. Der Pyrotechniker sei allerdings bereits dort gefallen, der Szenenbildner habe vergangene Woche seine Hand verloren. Onyshenko lebt seit acht Jahren in München, spricht deshalb auch sehr gut deutsch. Zuletzt war sie allerdings in ihrer Heimat, um einen Spielfilm zu drehen. Immer wieder hätte es Stromausfäle, Luftalarm und Drohnenangriffe gegeben. „Ich habe aber auch beeindruckende Momente im Krieg erlebt“, sagt Oynshenko und zieht damit den ganzen Saal in den Bann. Die Jury hatte in ihrer Begründung betont, dass nicht politische Gründe den Ausschlag für ihren Entscheid gegeben haben, sondern eben die hohe Qualität des Films. „Daria Onyshenko erzählt aus der Perspektive der Ukraine, aber wir werden nicht geblendet von einseitigem Patriotismus.“
Insgesamt bot das von Nathalie Arnegger in ihrem zweiten Jahr als Intendantin der Filmfestspiele ausgesuchte Programm einen sehr guten Mix aus Anspruch und Unterhaltung. An der Filmauswahl dürfte es also nicht gelegen haben, dass nicht alle Vorführungen ausverkauft waren. Wohl doch eher an den Nachwehen oder Vorahnungen von Corona und vielleicht auch der in diesem Jahr nicht immer so großen wie gewünschten Präsenz von Filmschaffenden.
Eine Ausnahme bildete da die Produktion des Bayerischen Tatorts „Mord unter Misteln“. Nahezu die gesamte Filmcrew war nach Biberach gekommen, um für ihren Fernsehfilm zu werben, der am zweiten Weihnachtstag in der ARD laufen wird. An der Spitze die beiden Hauptdarsteller Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec, die nun schon seit mehr als 30 Jahren als die Kommissare Leitmayr und Batic in und um München ermitteln. Dazu kam mit Sunny Melles noch eine der herausragenden Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum. Das Publikum honorierte dies mit zahlreichen Selfie- und Autogrammwünschen im vollbesetzten Foyer des Traumpalasts. Jetzt wurde man wieder an Vor-Coronazeiten erinnert, als bekannte Größen wie Iris Berben, Senta Berger, Walter Sittler oder Heino Ferch nach Biberach gekommen waren.
Mit Videobotschaften kann man diese Präsenzen und diese Zuschauermagneten nicht ersetzen. Wahrzunehmen war dies auch bei der Preisverleihung durch die Anwesenheit von Julius Nitschkoff, Preisträger des Silbernen Bibers, und die drehbedingte Abwesenheit von Gerd Nefzer. Der Spezialist für visuelle Effekte und zweifache Oscar-Preisträger wäre gerne nach Biberach bekommen, um den Sonderpreis entgegen zu nehmen, dreht aber aktuell in der Wüste von Abu Dhabi.
Nitschkoff sprühte trotzt Krücken, die er wegen einer Verletzung bei einem Stunt-Dreh benutzen musste, voller Energie. Er habe in seiner noch jungen Karriere schon rund 100 Filme gedreht und die Begeisterung werde immer größer. Er freue sich sehr über die Auszeichnung und auf die nächsten Projekte.
Nathalie Arnegger betonte abschließend, dass man das Programm im Vergleich zu anderen Festivals nicht heruntergefahren habe. „Wir haben die Zahl der Filme gehalten und das Rahmenprogramm sogar noch ausgebaut.“ Sie meinte damit neben dem Kapuzinertalk die neue Filmmusikwerkstatt. Besonders lobte die Intendantin das Biberacher Publikum für die angeregten Diskussionen nach den Filmen. Allerdings war das auch nicht immer möglich, weil so mancher Film ohne Begleitung des Teams auskommen musste. Ob die Verlegung der Preisverleihung von Sonntag auf Samstag der Weisheit letzter Schluss war, werden die nächste Jahre zeigen. mm
Fotos: Georg Kliebhan